Beschlüsse des OLG Hamm vom 13.Dezember 2017 und 28.Februar 2018, Az.: 11 U 57/17.
Der Fahrer eines Linienbusses darf nach Zustieg eines laut Schwerbehindertenausweises gehbehinderten Fahrgastes, dessen Einschränkung äußerlich nicht erkennbar ist, anfahren, bevor der Fahrgast einen Sitzplatz eingenommen hat. Allein die Vorlage eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkmal G verpflichtet den Fahrer nicht zu einer besonderen Rücksicht. Der gehbehinderte Fahrgast muss in derartigen Fällen den Busfahrer direkt auf die eigene Behinderung ansprechen und um Rücksicht bitten.
Grundsätzlich hat sich jeder Fahrgast unmittelbar nach dem Zustieg in einem öffentlichen Verkehrsmittel einen sicheren Stand oder einen Sitzplatz sowie sicheren Halt zu verschaffen. Wenn dies gerade im gefahrenträchtigen Zeitraum des Anfahrens vom Fahrgast nicht vorgenommen, trifft diesen ein erhebliches Mitverschulden, falls er zum Sturz kommt. Es besteht daher einen Obliegenheit sich selbst zu sichern.
Etwas anderes kann auch dann nicht gelten, wenn ein einsteigender Fahrgast zwar mittels eines Schwerbehindertenausweises auf seine Behinderung aufmerksam macht, aber sonst keine weiteren Erklärungen abgibt. Aus der bloßen Hingabe eines Schwerbehindertenausweises ist nicht zu verlangen, dass der Busfahrer entweder das dortig eingetragene Merkmal kennt oder besondere Rücksicht auf den Fahrgast nimmt. Hier muss vom zusteigenden, gehbehinderten Fahrgast verlangt werden, dass er besonders auf sich aufmerksam macht, so dass der Busfahrer erkennen kann, dass der Fahrgast besondere Rücksicht erfordert.
Der Busfahrer muss jedoch in Ausnahmesituationen besondere Rücksicht nehmen, die ihn möglicherweise dazu verpflichtet, sich zu vergewissern, ob der Passagier sicheren Halt gefunden hat. Eine derartite Ausnahmesituation ist anzunehmen, wenn der Fahrgast eine erkennbare schwere Behinderung, bspw. amputiertes Bein oder Blindheit, aufweist. In derartigen Fällen darf der Busfahrer nicht ohne Weiteres anfahren. Das Alter allein ist hingegen kein Grund eine besondere Ausnahmesituation anzunehmen, obgleich ein Fahrgast mit Trolley oder schwerem Gepäck einsteigt (OLG Celle, Beschluss vom 26.Juni 2018 – 14 U 70/18).
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